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Sprache


Tastensalat

24.10.2016

57| Übersetzungshilfe

Wenn ich ältere Texte versierter Schreiber lesen darf, erfreue ich mich daran, wie reichhaltig die deutsche Sprache ausgestattet ist. Umso mehr ärgert es mich, heutige Texte zu lesen, die diesen Reichtum aufgeben zugunsten effektheischender oder einfallsloser Modeworte. Deshalb neige ich beim Schreiben gelegentlich dazu, alte Wörter aufzugreifen oder neue zu erfinden, um die Modeworte zu vermeiden. Das ist für den Leser nicht immer nachvollziehbar. Deshalb liefere ich hier eine Liste der eigenwillig gewählten Begriffe mit ihren heute (leider) üblichen Entsprechungen.

Neuland - Internet
Mobiltelefon - Handy
Schnellmampf - Fast Food
Schlagwort - Tag


Die Liste wird bei Bedarf laufend erweitert.
f11 - 1/3s - 157mm - ISO 100 - 03/2016





schlafender Hund

17.10.2016

53| Faule Hunde

Es gibt Bereiche der sprachlichen Aktivität, in denen meine Erwartung bewusst niedrig eingestellt ist. Mündlicher Sprache, besonders mundartlich geprägter, kann und muss ich viel Duldsamkeit entgegenbringen. Aber bei Schriftsprache zucke ich doch manchmal zusammen, wenn es mir zu kreativ wird. Merkwürdigerweise scheinen viele Schreiber nichts dabei zu finden, wenn ihre Texte in abenteuerlicher Verfassung sogar im Neuland oder in Massendruckwaren veröffentlicht werden.

ein Beispiel aus dem Neuland

Ein sehr interessanter Tummelplatz für knapp daneben geratene Formulierungen sind Frageworte oder Relativpräpositionen. Zugegeben, ein schwieriges Feld. Da gibt es Pronomen, die lokal, modal, personal, positional und weiß-der-Kuckuck-wie-noch-al vorkommen können. Auch Adverbien mit dieser Palette von Unterkategorien sind möglich. Fragen oder Relativsätze beginnen also mit wer, was, wann, womit, woraus, wovon. Hier gibt es Regeln und Ausnahmen. Was sich auf ein Akkusativ-Objekt bezieht, also nach dem Was fragt, wird meist mit der Vorsilbe wo gebildet, wobei ein nachfolgender Vokal noch ein Extra-r spendiert bekommt: womit (mit was), woran (an was), wovor (vor was). Aber: weswegen, weshalb (wegen was). Anderes kann man nicht mit wo bilden, ja nicht einmal in ein einzelnes Fragewort kondensieren: auf wen, mit wem, ohne was. Kein Wunder, dass da mancher den Überblick verliert und aus Bequemlichkeit lieber gleich bei der Hilfskonstruktion aus Präposition und was bleibt. Bequem, aber grässlich in der ästhetischen Wirkung. Schlaumeier suchen nun nach Sonderformen, in denen mit was dennoch korrekt sein kann. Das Beispiel Mit was für Menschen gehst du um? kann in der Tat nicht mit einem einzelnen Fragewort geschrieben werden. Dennoch ist eine Zusammenziehung auch hier möglich, wenn auch mit leicht anderer Bedeutung, nur dass nun was für umgewandelt wird: Mit welchen Menschen gehst du um?

Wie man das alles einem Fremdsprachler beibringen soll, weiß ich auch nicht. Doch diesen wie auch dem Muttersprachler hilft sowieso nur Übung. Also Lesen, aber nicht irgendwo in Foren und Kommentarbereichen des Neulands. Es gibt ja sogar deutschsprachige Literaturnobelpreisträger (z.B. Müller, Grass, Jelinek, Mommsen). Kaum vorstellbar, dass man denen solche Faulheiten hätte durchgehen lassen. Also 'ran an die alten Meister!





Zottelrind auf der Weide

15.09.2016

34| Haben Sie keine anderen Probleme?

Ein lauer Sommerabend. Sie sitzen vor Ihrer Lieblings-Osteria und nippen an leckerem italienischem Wein. Da kommt ein Mann auf Ihren Tisch zu und spuckt in Ihr Weinglas. Ihre gute Erziehung bringt Sie nun dazu, den Mann höflich zu ignorieren und den Wein klaglos weiter zu trinken. Das klingt für Sie unwahrscheinlich?

Für mich ich auch. Die zu erwartende Reaktion wäre aufbrausender Ärger über den Widerling und ekelerfülltes Wegschütten des verunreinigten Weins. Wer wäre in der Lage, den Wein auszutrinken, als wäre nichts geschehen? Wohl nicht viele. Bezeichnenderweise wird aber genau so ein stoisches Verhalten erwartet, wenn es nicht um Wein, sondern um Luft geht.

Der Aufenthalt auf Bahnhöfen ist leider manchmal unumgänglich und der Auslauf meistens begrenzt. Und immer wieder finden sich dort Mitmenschen, die ihre Zigarette unbedingt in meiner Nasenreichweite rauchen wollen. Wenn ich es gelegentlich wage, solche Menschen höflich auf den Raucherbereich hinzuweisen, darf ich manchmal kostenlose Lektionen in Gesprächsführung lernen und meine Persönlichkeitsentwicklung hin zur Resistenz gegen Ignoranz und Frechheit vorantreiben.

Doch die meisten Menschen sind von Natur aus freundlich und kooperativ. Auch die meisten Raucher. Und deshalb sind die üblichen Dialoge zum Raucherbereich kurz und erfolgreich.

N: "Entschuldigen Sie bitte, könnten Sie bitte dort drüben im Raucherbereich weiter rauchen?"

R: "Oh, Entschuldigung! Selbstverständlich."

Und alle können sich wieder darauf konzentrieren glücklich zu sein. Nur manchmal trifft man auf rauchende Mitreisende, die Rücksichtnahme nur als Einbahnstraße kennen. Vor einigen Tagen gelang es mir, das folgende geradezu klassische Gespräch zu führen, ohne die Fassung zu verlieren. Hier die kommentierte Fassung.

N: "Entschuldigung, könnten Sie bitte dort drüben rauchen? Dort ist der Raucherbereich."

R: "...?!"

[Er schaut mich stumm an, als ob ich ihn unsittlich berührt hätte. Offensichtlich fehlen ihm die Worte. Es ist die typische Reaktion auf eine unbekannte, bedrohliche Situation. Wenn er den Kopf nur fest genug in den Sand steckt, verschwindet der Albtraum vielleicht von allein. Aber ich habe meinen hartnäckigen Tag und gebe ihm etwas Hilfe.]

N: "The smoking area!" und deute einladend in die entsprechende Richtung.

[Diese Sprache löst die Blockade. Junge Menschen sind offensichtlich mit Fremdsprachen motivierbar.]

R: "Arbeiten Sie hier oder warum machen Sie das?"

[Er hat die Denkpause gut genutzt und etwas entwickelt, was beim Militär als Ablenkungsangriff bezeichnet würde. Damit verrät er Schuldbewusstsein, aber auch Tatkraft, denn er versucht, die Initiative an sich zu reißen. Ich vermeide es, auf dieses Thema einzugehen. Im Grunde ist meine Antwort auf seine Frage für das eigentliche Problem auch irrelevant.]

N: "Ich atme hier. Wenn sie hier rauchen, rieche ich Ihren Rauch und ich bekomme keine Luft mehr."

[Stilistisch kein Meisterstück, aber ich halte den Druck aufrecht.]

R: "Ich kann hier nicht weg. Ich muss beim Gepäck bleiben. Da waren vorhin schon mal so ein paar Typen."

[Aha, die Methode Sachzwang. Mit dieser durchsichtigen Alternativlosigkeit kommt er aber nicht so leicht durch. Allmählich beginne ich, das Gespräch und seine ins Satirische abgleitende Argumentation zu genießen]

N: "Sie müssen nicht rauchen. Aber ich muss atmen."

[Ich entlasse ihn nicht aus seiner Verantwortung für meine Gesundheit.]

R: "Sprechen Sie hier jeden an? Wenn ich hier rauche, merken Sie das doch gar nicht."

[Er kratzt seine Reste von Empathie zusammen und bündelt sie zu einem mitleiderregenden Versuch, mir die Schuld für seine Probleme zuzuschieben. Denn er schließt von sich auf mich und glaubt deshalb, weil er einen Raucher im Freien neben sich nicht riechen kann, könnte ich das auch nicht. Zu seinem und meinem Leidwesen ist meine Nase leider sehr fein. Hier finden wir endlich eine gemeinsame Basis, die aber nicht zur Problemlösung beiträgt.]

N: "Wenn Sie wüssten. Ich rieche Ihren Rauch sehr gut."

[Immer noch keine Absolution von mir. Er greift zum letzten Mittel, das immer genutzt wird, wenn man moralisch unhaltbare Positionen ohne Gesichtsverlust weder halten noch räumen kann. Insofern trifft mich die Schuld, ihm keine für den geordneten Rückzug geeignete Brücke gelassen zu haben.]

R: "Haben Sie keine anderen Probleme?"

[Nun ist es heraus. Solange der Weltfrieden nicht ausgebrochen, die Flüchtlingskrise nicht gelöst und Dortmund nicht Meister geworden ist, muss ich alle Frechheiten hinnehmen. Er stellt mein Problem als Lappalie hin. Haben Sie keine anderen Probleme als Atmen? Genau genommen ist Atmen eines der dringendsten Bedürfnisse der Menschen. Versuchen Sie einmal, 2 Minuten die Luft anzuhalten. Eher könnte auch ein Raucher mal einige Stunden ohne Nikotin auskommen. Oder ein Weintrinker seinen verdorbenen Wein - wenn auch unter Schmerzen - wegschütten. Genau genommen ist der Tatbestand der Notwehr gegeben, aber ich beschließe, ihn zu erlösen. Vielleicht auch, weil gerade mein Zug einrollt.]

N: "Wenn jeder hier raucht wie er will, bekomme ich keine Luft. Denken Sie mal darüber nach."

[Damit überlasse ich ihm das Thema zur Stillarbeit. Auch wenn die Diskussion die Situation oberflächlich betrachtet nicht verändert hat, entfaltet sie dennoch Wirkung. Jeder so angesprochene weiß dann, dass sein Verhalten eine Frechheit ist. Damit hat er die Wahl, sich zu fügen oder sich offensichtlich vorsätzlich als ungehobelter Rabauke zu verhalten. Letztere Alternative ist zugegebenermaßen nicht für jeden eine unannehmbare Wahl. Solche Leute können mir dann getrost gestohlen bleiben, was mir hilft, den Affront als unvermeidliche Naturkatastrophe abperlen zu lassen. Ich kann es nur empfehlen, solche Gelegenheiten zum beiderseitigen Nutzen der Weiterentwicklung mit aller Höflichkeit und mit Vorsicht wahrzunehmen. Viel Erfolg!]

f6.3 - 1/1600s - 300mm - ISO 160 - 05/2012





Mohn

04.02.2016

8| Verben machen süchtig

Als ich vor ein paar Jahren erstmals mit Spanisch in Berührung kam, war ich fasziniert von der Eleganz und Vielfalt der Verben und Verbformen. Insbesondere die unregelmäßigen Formen schienen von edlem Glanz umgeben, der sich auf den Sprecher übertrug. Die filigrane Struktur der Sprache machte mich glücklich!

Nach dieser Erkenntnis dauerte es nicht lange, bis mir auffiel, dass Deutsch dem Spanischen in dieser Hinsicht nicht nachsteht. Nur weil ich von klein auf davon umgeben war, fiel mir die Schönheit nicht auf. Auch Deutsch kann den Liebhaber ausgefeilter Formen in den Himmel heben.

Umso enttäuschender ist es, der alltäglichen Kommunikation in zuzuhören. Viele Sprecher vernachlässigen leider den reichen Schatz und begnügen sich mit der Rohkost der Hilfsverben. So schlägt man sich durchaus auch passabel durchs Leben aber wie freudlos!

Ich kann ja meine Mitmenschen nicht umkrempeln, aber seit dieser Spanisch-Offenbarung müssen sie zumindest im Umgang mit mir ihren passiven Wortschatz aus der Rumpelkiste ziehen. Ich habe es mir zum Sport erhoben, so wenige Hilfsverben wie möglich zu verwenden und mich weitgehend der so beliebten Mogelformen zur Vermeidung des Konjunktivs zu enthalten. Das klingt dann manchmal zwar etwas abgehoben, aber ich habe meinen Spaß!

Sie können ja mal vergleichen:

Der Macher-Duktus:
"Dann habe ich einen Vorschlag gemacht, der allen Freude machte."
"Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es keinen Sinn macht, im Winter Urlaub zu machen."

Der Genießer-Duktus:
"Dann habe ich einen Vorschlag unterbreitet, der allen Freude bereitete."
"Ich habe die Erfahrung gesammelt, dass es keinen Sinn ergibt, im Winter Urlaub zu verleben."

Eine weitere Ausweichkonstruktion ist die Beschränkung auf Konstruktionen mit dem Partizip Perfekt:
"Ich habe den ganzen Tag geschlafen."
"Erst habe ich gegessen, dann habe ich mich gewaschen."

In vielen Fällen lässt die zeitliche Situation ebenso gut das Präteritum zu, das wesentlich reichere Formen hervorbringt:
"Ich schlief den ganzen Tag."
Erst aß ich, dann wusch ich mich."

Auch die Vermeidung des Konjunktiv erfreut sich großer Beliebtheit:
"Er sagte, er würde bei Regen nicht wandern, es sei denn er würde einen Schirm dabei haben."

Das geht auch anders:
"Er sagte, er wandere nicht bei Regen, es sei denn er hätte einen Schirm dabei."

Wenn Sie ab und zu Anspruchsvolleres als die Boulevard-Presse lesen, werden ihnen solche Sätze nicht ganz fremd sein. Schriftsprache, werden Sie sagen. Aber man kann das auch sprechen. Reine Übungssache. Und für mich pures Vergnügen! Natürlich erwische ich mich immer noch ab und zu bei der Kindersprache. Aber weil die Verben so schön sind, stürze ich mich dann wieder mit noch größerer Begeisterung in die Vielfalt.

Vielleicht versuchen Sie es ja auch einmal. Es würde mich freuen, von Ihren Erfahrungen zu hören.





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