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Aussichten


Buchumschlag DAMOKLES-Verlag

15.09.2022

107| Der Schläfer

Der Schläfer aus dem Eis

Mein erstes Buch ist fertig. Viel Spaß beim Lesen!


08/2022





Winterwald am Oderteich

24.12.2018

102| Phalanx

Ein Jahr geht zuende, das uns viele Gewissheiten genommen hat. Nichts spricht für Besserung im Neuen. Geradezu undurchdringlich sieht die Phalanx der Probleme aus der Ferne aus. Geradezu zum Verzweifeln. Beim Näherkommen werden Lücken erkennbar und ein möglicher Weg hindurch zeichnet sich ab. Es geht vielleicht im Zickzack und wird mühsamer als auf freier Strecke, aber es wird weitergehen.

f2.8 - 1/125s - 105mm - ISO 100 - 12/2018





Sprung von der Schaukel

26.12.2017

99| Absprung

Wir sind es gewohnt zu springen und wissen, dass wir gut landen werden. Weil wir einen solchen Sprung schon hunderte Male überstanden haben. Doch ab und zu stehen wir vor einem Abgrund, der uns schaudern lässt. Noch ein Schritt und nichts lässt sich rückgängig machen. Was treibt uns voran, was lässt uns zaudern? Die Gedanken rasen dann und das Herz auch. Eigentlich spricht zu vieles für den Schritt zurück. Trotzdem wagen Menschen immer wieder den Sprung in das Unbekannte. So sind wir Menschen und wir sehen uns mit Stolz in dieser Rolle.
Oft genug aber wählen wir die Vorsicht, die Vernunft, lassen uns von unseren Ängsten übermannen. Diese Menschen werden nicht besungen, haben aber auch einen schweren Weg zu gehen. Den Weg zurück, die Begegnung mit dem Scheitern, die verpasste Möglichkeit, das Unbekannte zu erfahren.
Und dies bewundere ich an den Menschen. Wenn sie sich nach einer solchen Schlappe wieder an den Abgrund schleppen, wieder versagen und dennoch immer wiederkommen. Und vielleicht irgendwann den letzen Schritt schaffen.





trockene Pflanze am Lappwaldsee

24.12.2017

98| Schutzschirm

Vieles, was uns wichtig ist, braucht Schutz. Als einzelner kann man oft nur einen winzingen Teil dieser Aufgabe übernehmen. Dann müssen wir zusammenstehen. Jeder wirkt in seinem Umfeld so gut er kann, obwohl niemand weiß, ob noch andere außerhalb des eigenen Gesichtskreises teilnehmen. Wir müssen uns darauf verlassen, andere verlassen sich auf uns. Wenn es glückt, ist der Schutz rundum perfekt und unsere heile Welt übersteht noch einen weiteren Tag.

f4 - 1/125s - 277mm - ISO 100 - 09/2017





bunter Drachen in blauem Himmel

04.11.2017

96| Mehr Leine

Auf dem Wind reiten wie ein Vogel, frei wie ein Vogel sein. Das möchten viele. Nun, im Herbst, gibt es Wind im Übermaß. Kinder und Eltern tragen Drachen auf die Felder, diese Freiheit zu suchen. Nur völlige Freiheit darf der Drachen nie erlangen. Sobald die Verbindung zum Boden abreißt, stürzt er ab. So geht es auch den Menschen, die sich im Aufwind des Erfolges über die anderen erheben. Sie bleiben abhängig vom festen Punkt unten. Und weiter aufsteigen können sie nur, solange unten mehr Leine gegeben wird.

f5 - 1/400s - 157mm - ISO 100 - 10/2017





Holzstapel in Gornje Vreme

09.09.2017

93| Doppelte Wärmequelle

Im ländlichen Umfeld Sloweniens ist ein Holzstapel ein alltäglicher Anblick und Brennholz ein Gebrauchsgegenstand. Hier müssen sich aber beim Aufstapeln ungewöhnliche Szenen abgespielt haben. Jedenfalls war die Ästhetik dieses Stapels jemandem wichtig genug, um die Einarbeitung einer Blumennische zu veranlassen. Diese Liebe zum schönen Detail wärmt das Herz im Sommer und das Holz die Stube im Winter. Zur Nachahmung wärmstens empfohlen.

f5.6 - 1/500s - 135mm - ISO 100 - 07/2017





Hamburger Speicherstadt

12.02.2017

83| Über Wasser

Wasser ist ein guter Schutz. Es trennt Bereiche an seinen Ufern wirkungsvoll ab, Zugänge lassen sich leicht an Brücken kontrollieren. Deshalb sind Burgen oft von Wassergräben umgeben. Grenzen verlaufen gern an oder über Wasserflächen.

Aber noch nützlicher ist Wasser als Verbindungsweg. Schwere oder voluminöse Güter lassen sich gut mit Schiffen transportieren. So sind Siedlungen an schiffbaren Flüssen über die Jahrhunderte zu mächtigen Städten herangewachsen. Besonders Häfen mit Zugang zum offenen Meer verdanken dem Wasser ihre herausragende Bedeutung.

Traditionsreiche Hafenstädte atmen in ihren historischen Gebäuden die Würde zivilisationsstiftender, harter Arbeit und weltoffener Handelsbeziehungen. Es sind Symbole dessen, was die Menschen ausmacht und ihre Erfolge begründet: Kooperation, Freiheit, Offenheit, Organisation und Fleiß.

In letzter Zeit denke ich oft darüber nach, ob nicht mehr Menschen die alten Hafenstädte besuchen sollten, damit sie ermessen können, was wir gefährden, wenn wir diese Grundlagen verlassen.

f6.7 - 1/750s - 157mm - ISO 200 - 03/2010





Fink auf Busch sitzend

22.01.2017

79| Leise Stimmen

Wer schreit, hat Unrecht - sagt der Volksmund. Ob das nun stimmt oder nicht, meist findet der Laute Gehör und setzt sich gegen die Leisen durch. Das kann man verurteilen, aber wer selbst darauf angewiesen ist, gehört zu werden, ist gut beraten, die Stimme zu erheben. Dann kommt der Party-Effekt: jeder versucht, beim Gespräch mit seinem Gegenüber das Stimmengewirr der anderen Gäste zu übertönen und am Ende schreien sich alle an. Eigentlich nicht sehr intelligent.

Man kann Lautstärke auch verwenden, um Macht auszuüben. Den Leisen einfach niederbrüllen. Wer Recht hat, ist dann nicht mehr wichtig. Deshalb werden in Revolutionen immer gleich nach den Waffenkammern die Rundfunksender erobert. Lautstärke ist Macht.

Doch auch die leisen Töne sind wichtig. In hitzigen, lautstark geführten Streitgesprächen ist der plötzliche Wechsel ins Leise oft ein machtvolles Stilmittel. Und mancher, der nur leise spricht, hat dennoch etwas Wichtiges zu sagen. Es lohnt sich, öfter einmal zu schweigen und zuzuhören.

Manche Menschen gehen auch von Zeit zu Zeit in den Wald, um der Stille zuzuhören und den feinen Stimmen, die sich nur dort bemerkbar machen können. Meist lernt man dabei, selbst nicht mehr so viel Lärm um nichts zu verbreiten. Was schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung wäre.

f5.6 - 1/320s - 300mm - ISO 100 - 02/2016





alte Trabis

23.12.2016

73| Führerschein oder Waffenschein

Mit dem Lastwagen gegen wehrlose Menschen. Das ist traurig für die Verletzten und Hinterbliebenen. Es ist empörend und frustrierend, dieser wahllosen Gewalt ausgesetzt zu sein. Aber es lässt keine Welt zusammenbrechen, wie nach den Anschlägen in New York im September 2001. Deutschland hat nicht den Krieg erklärt, die Geschichtsbücher werden keine Zäsur vermerken.

Warum? Weil der Angreifer das falsche Mittel wählte. Er ist gescheitert, hat uns nicht schockiert. Denn wir leben bereits seit Jahrzehnten mit der Todesgefahr auf den Straßen. Als Kind wurde ich vor der Straße gewarnt, als ob es ein Löwenkäfig wäre. Auf den Straßen herrscht das Gesetz des Dschungels und jeder hat wohl schon die alltägliche, spontane Heimtücke im Straßenverkehr zu spüren bekommen. Zu viele haben ihre Aggressionen nicht so unter Kontrolle, wie es der Gefährlichkeit ihres Autos angemessen wäre. Neu ist nun lediglich die offensichtlich geplante Heimtücke.

Diese Neuerung bringt uns nicht aus der Ruhe. Aber vielleicht macht der Vorfall uns Autofahrern endlich mit ausreichender Schärfe bewusst, dass Autos potentiell gefährliche Waffen sind. Die Nutzung sollte entsprechend besonnen und verantwortungsvoll ablaufen. Wenn wir das lernen würden, könnten wir leicht mehr Menschen vor Tod und Verletzung retten als mit einem Feldzug gegen Schurkenstaaten.

f6.7 - 1/750s - 300mm - ISO 100 - 07/2011





Vulkaninsel vor Poel

27.11.2016

68| Lebenslügen

Es gibt Konflikte, die man nicht lösen kann. Damit das Leben trotzdem weiter geht, nutzen die Menschen Notausgänge, die auf lange Sicht zwar nicht glücklich machen können, aber im akuten Fall die Katastrophe abwenden können. Einer dieser Notausgänge ist die Lebenslüge. Man belügt sich so gründlich, dass man die Lüge nach einiger Zeit tatsächlich selbst für wahr halten kann. Oft sind diese Lügen dann so tief verwurzelt, dass der Betroffene sie ohne Hilfe von außen weder erkennt noch sie aufgeben kann.

Eng verknüpft mit der Lebenslüge, ja vielleicht eine ihrer Voraussetzungen, ist die Rationalisierung, die dem Kartenhaus der Selbsttäuschungen scheinbaren Sinn verleiht.

All dies ist im persönlichen Bereich weit verbreitet. Wer als Jugendlicher, dem Alkohol verfallen, die Schule hat schludern lassen und deshalb einen Wunschberuf nicht ergreifen konnte, kann diese Schuld verarbeiten, indem er sich eine Geschichte einbildet, die von der eigenen Schuld ablenkt. "Die Lehrer haben mich damals oft benachteiligt, deshalb konnte ich die Schule nicht besser abschließen." Das eigentliche Alkoholproblem kann dadurch ganz aus dem Blickfeld des Betroffenen verschwinden, so dass die Diagnose Leberzirrhose ihn später tatsächlich überraschen wird.

Auch auf der gesellschaftlichen Ebene sind Lebenslügen zu finden. So ist auch hier der Umgang mit Drogen von Selbsttäuschung und Rationalisierung geprägt. Die Tatsache, dass der Staat aus der Sucht und körperlichen Selbstzerstörung seiner Bürger Nutzen in Form von Alkohol- und Tabaksteuer zieht, gehört in diese Kategorie. Bei nüchterner Betrachtung können die gesellschaftlichen Schäden durch diese Drogen niemals durch die Steuereinnahmen ausgeglichen werden. Ganz abgesehen von der Frage, ob die Aufrechnung aufgeht, verbietet sich moralisch jedes finanzielle Ausnutzen des Leids der Bürger. Der für solch fragwürdige Praktiken notwendige Selbstbetrug ist dann sowohl institutionell als auch persönlich gut ausgebildet.

Institutionell warnt man vor der Kriminalisierung der Gesellschaft durch Sanktionierung und verschanzt sich hinter den Freiheitsrechten.

Persönlich wird Alkoholtrinken mit allerlei Unfug verbrämt, der sich als Kultur oder sogar Gesundheitsförderung maskiert. Raucher dagegen leugnen die Schädlichkeit ihrer Sucht meist schlichtweg oder verherrlichen das Rauchen als Ausdruck ihrer persönlichen Freiheit. Dabei wissen alle, die sich beruflich mit den Folgen der Sucht befassen müssen, dass das Lügen sind.

Eine verantwortliche Antwort der Legislative könnte darin bestehen, öffentliches Trinken und Rauchen als Ordnungswidrigkeit zu werten. Jeder könnte seine Freiheit also im privaten Rahmen ausleben. Und in der Öffentlichkeit könnte man diesen Entgleisungen angemessen begegnen, ohne sich als Pedant oder Unruhestifter bezeichnen lassen zu müssen.

Aber so etwas wird niemals geschehen. Die wirtschaftlichen Interessen der Profiteure der Sucht sind in der Gesellschaft höhere Werte als ein klarer Kopf. Und wie oben dargelegt: Ein Ausbruch aus einer Lebenslüge bedarf auch der Hilfe von außen. Wer soll dem Staat diese Hilfe leisten?

Schade, vor allem für die Vielen, die sich ihr Leben mit Drogen leichtfertig verdüstern.

f2.8 - 1/1600s - 255mm - ISO 100 - 02/2016





Zugvögel unterwegs nach Westen

21.11.2016

67| Abreise

Jetzt sind alle Zugvögel wieder verschwunden. Noch vor wenigen Wochen konnte man die Wildgänse an den Seen der Umgebung mit dem Nachwuchs bei den Flugübungen beobachten. Nun sind die letzten Geschwader in Richtung Westen verschwunden. Ich bleibe zurück und denke an die Strecke, die sie vor sich haben und die ich zum Teil von sommerlichen Urlaubsfahrten gut kenne.

Die Aufbruchstimmung, die sie vor einigen Tagen lärmend und kreisend über der Stadt verbreiteten, war mitreißend. Und dann ging es plötzlich los. Ich bin trotzdem hier geblieben. Nicht nur, weil ich nicht fliegen kann. Aber als dann der regengraue Horizont leer war und es still wurde, schlich sich ein Gedanke an: "Macht doch euren Mist alleine, ich fahr los und komme erst wieder, wenn es hell und warm ist." Es war nur ein Augenblick, dann siegte die Vernunft. Man muss wohl Zugvogel sein, um einfach alles zurücklassen zu können. Und zum Vergnügen fliegen sie ja auch nicht fort.

f10 - 1/640s - 300mm - ISO 100 - 11/2016





Ein Kirchhof im Hannoverschen Land

20.11.2016

66| Unsterblicher Ruhm

Vor 300 Jahren, am 14 November 1716, starb ein Mann, ohne dessen Verdienste wir dies wohl nicht lesen könnten. Eigentlich mit Abschlüssen in weltlichem und in Kirchenrecht ausgestattet, ließ er sich nicht auf juristische Fragestellungen reduzieren. Als Perfektionist ging er allem auf den Grund, was er für seine zahlreichen Projekte benötigte. Auf diesem Weg wurde die Welt so nebenbei mit dem Rechnen mit Binärzahlen, der Rechenmaschine und der Infinitesimalrechnung beglückt. Und die Herausgabe seines gigantischen Nachlasses von Manuskripten harrt nach über 100 Jahren Arbeit noch heute der Vollendung.

Er ist damit nicht nur der Vater der Computertechnik, sondern wegen seiner unglaublich effektiven Integralrechnung auch Mitbegründer so ziemlich jeder technischen Errungenschaft unserer Zeit. Ein wirkliches Genie also. Eigentlich könnte man erwarten, dass er schon zu Lebzeiten auf Händen getragen worden sei und an seinem Todestag drei Tage Staatstrauer angeordnet worden wären. Aber nichts von dem war geschehen. Eine nach heutigem Verständnis seinen Fähigkeiten angemessene Anstellung am Hof zu London, dem Nabel der Welt in dieser Zeit, wurde ihm verwehrt und so fristete er sein Dasein in Hannover - damals tiefste Provinz. Zu seiner Beerdigung erschien niemand vom Hofe, wahrscheinlich war man froh, den Kauz mit seinen anstrengenden Ideen endlich los zu sein.

Und heute, da wir wissen, was er uns alles ermöglicht hat? Ein Star ist er immer noch nicht. Aus seiner Epoche kennt man natürlich Friederich den Großen, Goethe, Lessing, Beethoven und Bach. Aber sein Name ist der Allgemeinheit leider nur als schnöder Butterkeks geläufig.

Hat sich der Aufwand deshalb für ihn nicht gelohnt, ist er gescheitert? Was kann sich beispielsweise Alexander von Humboldt heute von seiner Popularität kaufen? Einem Toten ist sein Ruhm natürlich egal und auch zu Lebzeiten hilft er nur vordergründig weiter. Gewiss, Ruhm kann vieles erleichtern, besonders, wenn er mit finanziellem Erfolg verbunden ist. Aber menschlich kann er sogar hinderlich sein. Darum ist es erschütternd mitanzusehen, was viele Menschen sich auferlegen, um irgendwie berühmt zu werden. Die wahre Aufgabe für jeden Menschen liegt viel näher. Und die meisten Helden der Menschheit bleiben unerkannt. Wessen man sein Leben auch immer widmet, es sollte besser aus einem selbst heraus kommen. Dann muss man auch nicht um Anerkennung buhlen und dabei seine Seele verkaufen.

Wahrscheinlich sehe ich das Schicksal Leibniz' aber auch zu kritisch und seine Namenspatenschaft für eine Süßigkeit ist schon fast das Höchste, was man erhoffen kann. Nobelpreisträger gibt es nämlich dutzendweise, aber eine Süßigkeit zu benennen, das kenne ich außer von ihm nur noch von Mozart. Und das ist wirklich eine ehrenvolle Gesellschaft!

Montage aus f5.6 - 1/2000s - 217mm - ISO 100 - 04/2009 und weiteren Bildern





Durch Blitzschlag gespaltener Baum

25.09.2016

38| Verbinden und Trennen

Die Überschrift würde auch prima zu einer Sprachkritik zur Nutzung oder Nicht-Nutzung von Bindestrichen passen. Da dieses Thema aber schon in schöner Vollständigkeit von B. Sick abgearbeitet wurde (Dem Wahn Sinn eine Lücke und Das Elend mit dem Binde-Strich), möchte ich mich einem anderen Aspekt des Begriffes der Verbindung zuwenden.

Noch niemals in der Geschichte des menschlichen Mitteilungsbedürfnisses ist es so einfach gewesen, den Rest der Welt über die eigenen Befindlichkeiten, Pläne und Gedanken auf dem Laufenden zu halten. Grundlage dieser Möglichkeit sind das Neuland und die Mobiltelefonie.

Optimisten sprechen deshalb von einer Revolution der sozialen Möglichkeiten, die in ihrer Bedeutung der neolithischen Revolution vor etwa 20 Jahrtausenden gleichkommt. Die in diesem Text großzügig verwendeten Hyperlinks demonstrieren beispielsweise, wie ein allgegenwärtiger Zugriff auf das Netzwissen fehlende Allgemeinbildung kompensieren kann.

Pessimisten betonen die schädlichen Auswirkungen ständiger Erreichbarkeit und Ablenkung. Alltägliche Feld-Beobachtungen bestätigen die Berechtigung dieser Kassandra-Rufe. Schüler, die sich noch vor 10 Jahren beim Warten auf den Schulbus in Form von lärmenden Rangeleien in inniger sozialer Interaktion geübt hätten, stehen nun unbeweglich, stumm und über ihre Mobiltelefone gebeugt. Paare auf romantischen abendlichen Café-Terrassen sind von tiefem, schmachtendem Augenkontakt zum Abklappern der vielfältigen Konten bei sogenannten sozialen Accounts übergegangen. Und am schlimmsten: auf Spielplätzen sind die Zwerge nunmehr völlig auf sich allein gestellt, da die sie begleitenden Aufsichtspersonen nur noch Augen für ihre Mini-Rechner zu haben scheinen. Da muss man schon viel Gottvertrauen aufbieten, um in solchen Erscheinungen wünschenswerte Entwicklungen zu sehen.

So sehr die elektronischen Helferlein auch den Kontakt zwischen den Menschen auch auf unterschiedlichen Kontinenten beflügelt haben, im direkten zwischenmenschlichen Bereich wirken sie häufig eher trennend. Deshalb gilt hier wie überall: Alles zu seiner Zeit.

f10 - 1/250s - 157mm - ISO 100 - 07/2016





Karrusell-Pferd im Musikinstrumente-Museum Königslutter

27.08.2016

28| bereit

Wenn es schwierig wird, braucht man Motivation. Bilder können Motivation bewirken. Vor allem Bilder im Kopf, als Vorstellungen. Eines meiner Lieblings-Bilder ist das eines Rennpferdes am Start. Es hilft nicht nur beim Sport, Energie freizusetzen:

Ein Rennpferd in der Startbox ist nicht nur ein Pferd. Die Auslese über viele Generationen, die Bemühungen von Züchtern, Trainern, Tierärzten über Jahrhunderte münden in diesem Käfig an der Startlinie. Das Pferd hat Monate des Aufbaus hinter sich. Belastungen, die oft an die Grenze seiner Fähigkeiten führten.

Heute in aller Frühe kam es hier an. Noch ganz steif von der Morgenkälte wurde es vorsichtig warmgeritten, bis jeder Muskel geschmeidig und energiegeladen war. Nun steht es dort, in Erwartung des Schusses. Es ist bereit. So bereit, wie ein Pferd es nur sein kann. Es gibt keine Schmerzen, keine Bedürfnisse - außer zu laufen.

Es ist jetzt kein Rennpferd mehr. Kein heikles Hochleistungsgeschöpf mit vielen Wehwehchen und Empfindlichkeiten. Es ist nur noch die Verkörperung machtvoller Beschleunigung. Nichts anderes hat jetzt in den Gedanken des Tieres Platz. Laufen, ich muss laufen, ich bin bereit.

Die mühsam gebändigte Kraft des Pferdes ist wie ein gespanntes Katapult, der Knall eine Erlösung. Gleich einer Explosion wird die aufgestaute Energie frei. Und das Pferd findet seine Erfüllung, vielleicht nur dieses eine Mal im Leben. Dafür wurde es geboren. Es läuft, ohne die anderen Pferde wahrzunehmen. Nur für sich, mit allem was ihm gegeben wurde. Ohne Mühe wird es die Strecke zurücklegen und am Ziel dampfend und hechelnd die Welt um sich herum nach und nach wieder wahrnehmen. Erschöpft, zufrieden, glücklich.


Und dieses Bild beinhaltet noch etwas anderes. Es zeigt, wie wichtig es ist, bereit zu sein. Ohne Vorbereitung kann Schwieriges nicht freudvoll getan werden. Und ohne Freude wird es nicht gut. Das gilt für jede Art von Herausforderungen.

f4 - 1/250s - 157mm - ISO 100 - 09/2010





Fassadenmaler in Ruşi, Siebenbürgen

23.08.2016

27| Zierde

Auf der Fahrt nach Sibiu in Siebenbürgen fiel mir im Vorbeifahren ein Haus mit frischer Fassade und Gerüst auf. Ein Mann war dabei, eine kunstvolle Inschrift aufzubringen. Es war nur ein Augenblick in zügiger Fahrt. Doch in einer Umgebung, in der halbverfallene Häuser und verblasste Farben zum Straßenbild gehören, genügte er, um Stunden später auf der Rückfahrt neugierig auf den Stand der Arbeit zu machen.

So war die Kamera bereit, als wir wieder durch Ruşi fuhren. Und tatsächlich, er war noch immer fleißig - zwei Wörter weiter.

Ich war beeindruckt von der Beharrlichkeit und ruhigen Sorgfalt, mit der er sein filigranes Werk voranbrachte. Angesichts des Umfangs der Aufgabe nicht in schludrige Abkürzungen zu verfallen, über die Dauer der Ausführung der einmal eingeschlagenen Linie treu zu bleiben und bei dem schönen Wetter standhaft auf dem Gerüst auszuhalten, kam mir fast heldenhaft vor.

Nun kann man ja einwenden, dass ein Fassadenspruch die Welt nicht retten wird und der gute Mann seine Energie in das falsche Projekt steckt. Doch so, wie ein zerbrochenes Fenster, dass nicht repariert wird, einen ganzen Häuserblock ins Chaos ziehen kann, so wird ein gepflegtes Blumenbeet zwischen vermüllten Vorgärten wie auch eine strahlende Fassade vielen Menschen Mut und Energie geben für den nächsten Tag im Kampf gegen das Chaos. Deshalb müssen auch für Menschen, die dem Minimalismus zuneigen oder sich aus Mangel beschränken müssen, Schönheit und Zierde kein Teufelswerk sein.

f2.8 - 1/250s - 300mm - ISO 100 - 07/2016





Sigwards-Kirche in Idensen

08.05.2016

12| Im Namen des Vaters

Himmelfahrt ist heute als "Vatertag" ein zur Unkenntlichkeit verballhornter Feiertag, der seinen Bezug zu den christlichen Wurzeln noch gründlicher abgestreift hat als Ostern und Weihnachten. Ein Spaziergang an diesem arbeitsfreien Tag bot letztens dennoch Gelegenheit, sich diesen Wurzeln zumindest gedanklich wieder etwas anzunähern.

Die an der diesjährigen Strecke gelegene Sigwardskirche lädt zu einer Besichtigung des prächtig bemalten Inneren ein. Ebenso besticht die architektonische Gestaltung durch überaus ästhetische Ausstrahlung. Ein stiller, kühler Ort, der daran erinnert, dass die Menschen schon vor 900 Jahren Sinn und Muße für Kunst und Schönheit aufbringen konnten. Eine Hinterlassenschaft unserer Vorfahren, die man voller Stolz unseren Kindern und den Besuchern aus allen Teilen der Welt präsentieren könnte. Hier kann man ein paar Minuten innehalten und darüber meditieren, wohin die christlichen Ideen die Menschen in diesem Teil der Welt geführt haben.

Als wir danach die Wanderung fortsetzten und nach einigen Kilometern in Steinhude einzogen, bot sich dem eben noch in erhabener Pathetik schwelgenden Wanderer ein ernüchternder Kontrast. Das Städtchen fungierte an diesem speziellen Feiertag anscheinend als Treffpunkt all jener zumeist jungen Zeitgenossen, die Himmelfahrt ausschließlich mit Vatertags-Trinksport, ausgelassenem Lärmen und ungehemmtem Konsum verbinden. Das einzige, was diese Gesellschaft der Nachwelt zu hinterlassen scheint, sind Ohrenschmerzen, schlechter Geschmack und Berge von Müll. Ein idealer Anlass zu pessimistischen Klagen über den Zustand der "Jugend von heute".

Aber ist das gerecht? Es ist ein ungleicher Wettstreit. Auf der einen Seite die Errungenschaften einer elitären Weltordnung, die einer klerikalen Oberschicht den Bau und die aufwändige Ausstattung einer Kirche ermöglichten, die noch heute Bewunderung hervorruft. Auf der anderen Seite die Auswüchse einer frei von Zwängen aufgewachsenen Jugend ohne verlässliche Orientierungspunkte.

Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Menschen in den letzten 900 Jahren so grundlegend geändert haben. Sie waren zur Zeit des Sigward nur anderen Bedingungen ausgesetzt. Alkohol war gewiss damals schon Ausgangsmaterial für allerlei hirnlosen Unfug. Nur hatten die Jugendlichen um 1100 noch keinen Zugriff auf hochdeckende Acrylfarben in handlichen Treibgas-Dosen, auf Alkoholika in nahezu kostenfreien Glasflaschen und auf Konsumartikel aus unverwüstlichem Kunststoff mit denen sie ihrer Welt einen dauerhaften Stempel hätten aufdrücken können. Und so müssen sich die Rabauken unserer heutigen Welt mit dem messen, was die Menschen mit viel Hingabe und Mühen über die Jahrhunderte haben retten können. Klar, dass die zeitgenössischen Alltags-"Künstler" dabei etwas schlecht wegkommen.

Es gibt also Anlass, die Kulturbanausen und Ungehobelten unserer Zeit mit etwas Nachsicht zu behandeln. Trotzdem zeigt der bei solchen Gelegenheiten schmerzhaft erlebbare Kontrast, dass es richtig und wichtig ist, Geld für Museen, Ausstellungen, Orchester und Kunstförderung aufzubringen. Damit die Menschen im Jahr 3000 nicht nur unseren Müll in Erinnerung behalten und sich auch heute jeder, der ernsthaftes Interesse mitbringt, von den guten und schönen Aspekten der Gesellschaft inspirieren lassen kann.





Müll im Wald

07.03.2016

15| verstellter Blick

Für einen Fotografen ist der fotografische Blick eine wichtige Voraussetzung für ästhetisch ansprechende, bedeutungsvolle Bilder. Durch die jahrelange Beschäftigung mit Motiven, Komposition, Belichtung und Ausschnitt sieht man mehr und mehr die Welt aus der Perspektive einer Kamera. Das habe ich bisher nie als Einschränkung erlebt. Vielmehr empfinde ich diesen fotografischen Blick immer als Bereicherung, selbst wenn ich gerade keine Kamera bei mir habe. Dieser Blick war nicht schon immer da, er ist erlernt.

Seit einiger Zeit erlebe ich schmerzhaft, dass man auch andere spezifische Sichtweisen erlernen kann. Ich habe nämlich begonnen, die allgegenwärtige Müllflut in der Landschaft als lästig zu empfinden. So sehr stört mich der Unrat inzwischen, dass ich zumindest in der unmittelbaren Nachbarschaft meiner Wohnung dazu übergegangen bin, ihn auf Spaziergängen und Waldläufen systematisch zu beseitigen.

Nicht, dass ich das Müllsammeln etwa liebte. Eigentlich finde ich es widerlich, die Hinterlassenschaften anderer Leute in die Hand zu nehmen. Aber es handelt sich um Notwehr, das kleinere Übel. Denn noch schlimmer als Müll sammeln ist es für mich, täglich über denselben Mist in fortschreitenden Zuständen des Verfalls zu stolpern.

Also habe ich gelernt, Müll zu finden, wo ich früher achtlos vorbeigehen konnte. Als ärgerlicher Nebeneffekt überlagert diese neue Fertigkeit nun den fotografischen Blick. Wo auch immer ich mich bewege, ich sehe keine grandiosen Ausblicke mehr, keine reizvollen Details, keine stimmungsvollen Szenerien.

Ich sehe nur noch Müll.

Und es gibt keinen Mangel an Müll. Die Welt ist inzwischen offensichtlich nahezu lückenlos mit menschlichen Abfällen übersät. Um wieder kreativ fotografieren zu können, sollte ich lernen, über den Müll hinwegzusehen. Mich mit ihm abfinden. Dazu konnte ich mich bisher noch nicht durchringen. Andererseits kann ich auch nicht überall aufräumen. Das geht über meine Möglichkeiten. Es ist ein ungelöstes Problem.

Immerhin, in letzter Zeit mehren sich die Zeichen, dass es noch mehr Verrückte wie mich gibt. Man liest im Neuland von Müllsammlern, in der Zeitung wird zum Frühjahrsputz in der Landschaft aufgerufen und durch Gespräche in der Nachbarschaft konnte ich schon einige stille Mittäter überführen. Vielleicht ist der erbärmliche Zustand der Welt ja doch nur ein Übergang.





besetzt

01.03.2016

16| besetzt

Ein Aufenthalt in einem Saunarium hält für mich viele Augenblicke der Einkehr bereit. Ich komme zur Ruhe, lausche in mich und habe außerdem Zeit, die Umgebung zu beobachten. Mit Blick auf die anderen Saunagäste lassen sich sehr kurzweilige soziologische Studien durchführen.

Ein dankbares Phänomen, das ursprünglich an den Stränden Mallorcas entstanden sein soll und nun auch auf die deutsche Saunalandschaft übergegriffen zu haben scheint, ist das Reservierungshandtuch. Obwohl in vielen Bade-Einrichtungen bereits mit auffälligen Hinweisschildern gegengesteuert wird, kann man an belebten Tagen die meisten Liegestühle dennoch zwar verwaist, aber mit allerlei Gepäckstücken als okkupiert markiert vorfinden.

Meine erste Reaktion ist verhaltener Ärger ob der Regelverletzung. Da nach einigem Suchen meist doch noch ein Liegeplatz zu finden ist, verraucht der Groll bald so weit, dass ich beginnen kann, über dieses bemerkenswerte Verhalten nachzudenken. Wo liegt die Motivation des Blockierers? Zunächst einmal kann er hoffen, bei Bedarf immer "seinen" Liegestuhl ohne viel Suchen benutzen zu können. Nach ihm Ankommende werden ihm seinen Besitz in der Regel nicht mehr streitig machen. Er kann also dem weiteren Verlauf des Tages ohne diesbezügliche Zukunftsangst entgegensehen.

Er muss allerdings auch Nachteile in Kauf nehmen. Da wäre das klare Fehlverhalten. Ein schlechtes Gewissen ist kein gutes Ruhekissen. Er muss eigentlich jederzeit mit einer Konfrontation mit einem Bademeister oder einem anderen Saunagast rechnen. Doch dieses Risiko ist als gering einzustufen. Zu sehr hat sich die Taktik schon etabliert. "Das machen doch alle so" wäre eine erfolgversprechende Verteidigung.

Weiterhin entgeht dem Blockierer der Vorteil der Flexibilität. Einmal reserviert ist er auf einen einzigen Stuhl festgelegt und wird zumindest an diesem Tag keine anderen Perspektiven kennenlernen. Dies ist ein Nachteil, der von eingefleischten Blockierern wahrscheinlich eher als Vorteil ausgelegt wird. Denn wie oben bereits angedeutet, treibt den Blockierer ein gesteigertes Sicherheitsbedürfnis. Aus dieser Sicht könnte ständiger Wandel eher als Bedrohung denn als Chance erlebt werden.

Die weiteren Nachteile seines Verhaltens werden dem Blockierer möglicherweise auch entgehen, weil sie ihn nicht unmittelbar treffen. Ein großer Anteil blockierter Liegestühle zwingt den Betreiber, mehr von ihnen bereitzustellen als bei frei fließender Nutzung. Deshalb muss er in zusätzliche Liegestühle investieren und Aufstellflächen für diese Stühle schaffen. Es ergeben sich also ein höherer Eintrittspreis und zugestellte Flächen in den Ruhebereichen. Also ein sozialisierter Schaden im Ausgleich für einen privaten Vorteil - das ist Egoismus.

Außerdem entsteht ein Schaden durch die Erosion der guten Sitten. Das klingt altmodisch und ungreifbar. Doch das gefährliche an dieser Erosion ist, dass die wahren Kosten erst dann auffallen, wenn es zu spät ist, die Entscheidung für Egoismus zu überdenken.

In diesem Sinn ist der eigentlich mit dieser Abhandlung zu sehr geadelte, läppische Vorgang des Reservierens nur ein Symbol für eine bedenkliche allgemeine Geisteshaltung. Reservieren, blockieren, festhalten, besetzen sind Ausdruck von Unsicherheit. Es ist die Lebenshaltung des Habens (Fromm, Haben oder Sein), die nicht nur den Einzelnen, sondern auch die Gesellschaft leiden lässt. Sie führt dazu, dass man nicht nur in der Sauna keinen Liegestuhl findet, wenn man einen braucht, obwohl ausreichend vorhanden wären. Sie bewirkt auch, dass ganze Täler mit Ferienhäusern zugebaut sind, obwohl nur ein Bruchteil davon gleichzeitig in Nutzung steht. Aber auch die Habenden werden mit ihrer Habe in der Regel nicht dauerhaft glücklicher.

Wäre es nicht viel vernünftiger, nur die Güter vorübergehend zu besitzen, die man gerade braucht? Ein Ferienhaus brauche ich nur einmal im Leben. Wollte ich es ein zweites Mal nutzen, versage ich mir die Erfahrung eines anderen Reiseziels. Es gibt natürlich auch Güter, für die sich die private Nutzung eher empfiehlt. Die Grenze ist fließend und von der jeweiligen Gesellschaft abhängig. Hierzulande würde jeder für das Modell der privaten Nutzung von Unterwäsche plädieren, aber bei Waschmaschinen und sogar bei Autos bestehen auch Modelle mit gemeinschaftlicher Nutzung. Offensichtlich wird die Grenze zwischen den Modellen durch den Aufwand für Anschaffung und Haltung des jeweiligen Gutes bestimmt. Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren: Unabhängig davon, wo man die Grenze zwischen Privatnutzung und Gemeinschaftsnutzung zieht, die rein private Nutzung von Allgemeingut ist Missbrauch. Im Beispiel sind die Liegestühle zwar im privaten Eigentum des Sauna-Betreibers, aber sie sind zur allgemeinen Nutzung durch alle Kunden vorgesehen.

Wie also soll ich konkret im Kleinen auf den Missbrauch der Liegestühle reagieren? Gewöhnlich schwanke ich zwischen Selbstbeschwichtigung und Sendungsbewusstsein. Ist es der Sache angemessen, mir mit dem möglichen Streit den Tag zu verderben? Oder ist es meine Pflicht, dem Fehlverhalten Einhalt zu gebieten, wo immer ich ihm begegne? Ich gebe zu, der Ausgang dieser inneren Diskussion hängt von meiner Tagesform ab.

Und wie steht es im Großen? Muss oder darf ich die Überfischung der Meere, die Ausbeutung der Regenwälder, den Hochmut der Finanzwelt widerspruchslos hinnehmen? Eine Entscheidung über Haben oder Sein bleibt niemandem von uns erspart. Jeden Tag, jede Minute, im Kleinen und im Großen. Und in der Neutralität finden wir keine Zuflucht.

Viel Glück!





Uhrwerk in Fützen

24.02.2016

18| Wunschwelt

In ihren älteren Wagons beglückt die deutsche Bahn ihre Fahrgäste beim Besuch der Toilette mit dem Hinweis

"Bitte verlassen Sie diesen Raum so, wie Sie ihn vorfinden möchten!"

Dies löst in mir sehr gemischte Empfindungen aus.

Erleichterung
Anscheinend gibt es, vielen Indizien zum Trotz, auch bei der Bahn Verantwortliche, denen die Umstände, die man den Kunden zumutet, nicht ganz gleichgültig sind.

Pflichtgefühl
Habe ich auch alles getan, was zur korrekten Nutzung einer Toilette gezählt wird?

Verwirrung
Ist der Satz eventuell auf mich bezogen? In welcher Verfassung wünsche ich die Toilette vorzufinden? Am besten noch ganz dicht, mit trockener Hose. Eventuell etwas derangiert von der Reise aber dennoch im Großen und Ganzen glücklich mit meinem Leben. Natürlich sollte sich an diesem Zustand bis zum Verlassen der Toilette nicht allzu viel geändert haben - bis auf den dann hoffentlich verminderten Blasendruck. Schön, dass sich die Bahn um meine Unversehrtheit sorgt.

Verlassen Sie den Raum wie Sie möchtenEmpörung
Sollte es sich um eine Aufforderung zur aktiven Verbesserung der Toilette handeln? Das hieße doch, ich müsste vor dem Verlassen des Raumes die verdächtig gelblich aussehende Pfütze aufwischen, die wackelige Klinke austauschen und die Papiertücher nachfüllen. Und wenn es ganz ehrlich darum ginge, wie ich den Raum vorzufinden wünschte, käme ich um größere Umbauarbeiten wohl nicht herum. Schließlich ist das Wissen um die Möglichkeiten durch gelegentliche Aufenthalte in gut ausgestatteten Hotels auf der Höhe der Zeit. Was man von den Zugtoiletten nicht uneingeschränkt sagen kann. Aber darum sollte sich die Bahn doch bitteschön selbst kümmern.

Erleuchtung
Ist der Satz als Allegorie auf das Leben an sich gemeint? Sollte ich ihn verallgemeinert verinnerlichen in dieser Form: "Verlassen Sie diesen Planeten so, wie Sie ihn vorzufinden wünschen!" Eine hehre Aufgabe. Sicher nicht zu schaffen. Aber einen Versuch wäre es wert. Wie möchte ich diesen unbedeutenden Ort im Universum vorfinden? Sauber auf jeden Fall. Also hebe ich auch Müll auf, den ich nicht selbst hingeworfen habe. Freundlich auch. Ich lächle daher auch dem größten Stiesel tapfer entgegen. Außerdem und nicht unbedingt in dieser Reihenfolge frei, gerecht, liebevoll, inspirierend, schön, wild, sicher, besser. So sollte diese Welt beschaffen sein - spätestens wenn ich sie zu verlassen habe. Es gibt also keinen Grund, weiter die Füße hochzulegen.





Strand Langeoog

24.02.2016

17| spurlos

Der Held meiner Kindertage war Old Shatterhand. Er konnte nicht nur einem geknickten Grashalm ansehen, wie viele Reiter dort vor wie vielen Stunden vorbeigekommen waren. Er selbst konnte sich selbst im Gegenzug durch die Prärie bewegen, ohne den geringsten Hinweis seiner Anwesenheit zu hinterlassen. Das hatte er von den Indianern gelernt.

Das liegt nun viele Jahrzehnte zurück. Neuerdings wird meine verstaubte Heldenverehrung unerwartet wieder mit neuem Leben erfüllt. Als begeisterter Wanderer und Radfahrer halte ich mich in meiner Freizeit gern in der Natur auf. Insbesondere auf ausgedehnten sommerlichen Zelt-Reisen quer durch Europa mit meiner Liebsten genieße ich Ruhe und Sauberkeit der Nationalparks und Naturschutzgebiete. Dieser Genuss erfährt leider immer dann eine jähe Trübung, wenn mich die Begegnung mit den Hinterlassenschaften der Konsumgesellschaft an der Existenz intelligenten Lebens auf der Erde zweifeln lässt. Es ist unglaublich, in welch entlegene Landstriche Unrat zur dauerhaften Entsorgung geschleppt wird. Dafür scheint manchen Menschen kein Weg zu weit zu sein.

Einmal sensibilisiert, fallen mir die Hinterlassenschaften der Gedankenlosigkeit auch in der Heimat immer öfter auf. Und je mehr ich mich davon abgestoßen fühle, desto stärker entwickelt sich mein Wunsch, mich davon abzusetzen. Es sollte doch möglich sein, einen Ort so zu verlassen, dass er auch für die Nachwelt noch annehmbar bleibt. Man kann ja seinen Abfall bis zum nächsten Mülleimer weitertragen. Das ist aber erst die erste Stufe des Projektes "Spurlos".

Muss es denn sein, dass man einem Wanderweg noch Tage später ansieht, dass jemand durchgekommen ist? Man könnte etwas Vorsicht walten lassen, die Pflanzen weder zertrampeln noch abpflücken und Schnitzereien und Kritzeleien auf den eigenen Hobbykeller beschränken. Und auch bei der Lärmentwicklung ist Zurückhaltung möglich. Das sind eigentlich ganz banale Regeln der Kinderstube. Leider spricht der Zustand der Landschaften aber dafür, dass die Anzahl der ungehobelten Menschen zugenommen hat. Deshalb kann es nicht schaden, dem bewusst mit Hilfe der Spurlosigkeit entgegenzutreten. Das im Zusammenhang mit dem CO2-Ausstoß so aufmerksam verfolgte Bemühen um einen möglichst kleinen ökologischen Fußabdruck findet hier auf unterster Ebene seine konsequente Ergänzung.

Im Wald eingeübt kann man die Spurlosigkeit zwanglos auf andere Situationen übertragen. Ist es wirklich in Ordnung, im Hotel alles im Preis inbegriffene hemmungslos zu verprassen? Das fängt schon mit dem Waser an. Auch wenn es den Gast nichts zusätzlich kostet, ist Wasser in den meisten warmen Ländern knapp und kostbar.

All diese Verhaltensregeln können je nach Talent und Begeisterung für die Sache in abgestufter Ausprägung verwirklicht werden. Natürlich kann ich nicht wirklich spurlos durchs Leben gehen. Schon die Menge an trotz aller Bemühungen regelmäßig in der heimischen Mülltonne angesammelten Abfällen spricht diesem Anspruch eigentlich Hohn. Was zählt, ist der Geist der Schonung, der aus dem Bemühen um die spurlose Nutzung des uns gemeinsamen Planeten spricht. Und hier sehe ich auch für mich noch viele Entwicklungsmöglichkeiten.

Ein schöner Nebeneffekt des sanften Auftretens bei Wanderungen ist die erhöhte Chance, in der Natur auch einmal das eine oder andere Wildtier anzutreffen. Und der Gedanke, einen schönen Platz auch später noch unseren Kinder oder sogar Enkeln in gleicher Pracht zeigen zu können, ist ja auch nicht zu verachten.

Womit ich doch noch die Kurve hin zu dem Bereich genommen habe, in dem es anzustreben ist, Spuren zu hinterlassen: In der Gesellschaft. Kinder zu aufrechten Menschen erziehen, Erkenntnisse voranbringen, Beziehungen aufbauen. Hier kann man seinen Gestaltungsdrang nutzbringend ausleben.





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